„Schwäbischer Silbermann?“

Vortrag von Orgelbauer Andreas Saage am 22.07.2023, mit freundlicher Genehmigung des Verfassers hier nachzulesen.

Johann Adam Ehrlich – der schwäbische Silbermann?

Während der sächsische Orgelbauer Gottfried Silbermann, sowie sein im Elsass lebender Bruder Andreas Silbermann vielen bekannt ist, bleibt die Orgelbauerdynastie Ehrlich weitgehend unbekannt.

Während Silbermann in Sachsen privilegierter Hoforgelbauer war und sich per Dekret von August dem Starken die Konkurrenz fernhalten konnte, was so weit ging, dass andere Orgelbauer der Region nur zum Zug kamen, wenn Silbermann den Auftrag zum Bau der Orgel ablehnte, musste sich Johann Adam Ehrlich der Konkurenz stellen und erarbeitete sich durch herausragende Leistungen den Ruf, als einer der Besten Orgelmacher des Landes zu gelten.

Dies wird aus einem Schreiben von Praeceptor Kraußlich aus Forchtenberg deutlich.

Als die große Orgel in der Stiftskirche Öhringen von Johann Christoph Wiegleb aus dem Jahr 1732 zur Überholung im Jahr 1764 anstand, standen zwei renommierte Orgelbauer in Konkurrenz um diesen Auftrag.

Der Orgelbauer Geßinger aus Rothenburg ob der Tauber und Johann Adam Ehrlich aus Wachbach bei Mergentheim.

Nachdem die Offerte von Geßinger Inhaltlich nicht überzeugen konnte und der Preis für die auszuführenden Arbeiten als viel zu hoch eingeschätzt wurden, kam hinzu, dass Arbeiten in Schillingsfürst und Niederstetten als minderwertig beurteilt wurden und diese durch Ehrlich mit erheblichem Aufwand in Ordnung gebracht werden mussten und dies zur vollsten Zufriedenheit der Auftraggeber.

Ehrlich erhielt den Zuschlag für die Arbeiten in der Öhringer Stiftskirche und erhielt hierfür größtes Lob.

Heute möchte ich Ihnen gern diesen mit der Stadt Bad Wimpfen in besonderer Weise verbundenen Orgelbauer näher bringen.

Johann Adam Ehrlich wurde 1703 in Wachbach bei Bad Mergentheim, als Sohn des Schreinermeisters Johann Adam Ehrlich, geboren.

Die Familie waren Untertanen des Deutschen Ordens in Mergentheim.

Johann Adam war das zweite von 14 Kindern, von denen nur sieben das Erwachsenenalter erreichten.

Wachbach gehörte damals zu 2/3 den Herren von Adelsheim, das andere Drittel dem Deutschen-Orden.

Sofern ist belegt, dass die Familie beiden Herrschaften dienten.

Neben dem Schreinerhandwerk betrieb der Vater Landwirtschaft und Weinbau, in guten Jahren betrieb die Familie eine Heckenwirtschaft.

Der Vater von Johann Adam starb im Jahr 1755. Es ist anzunehmen, dass er das Schreinerhandwerk in der väterlichen Werkstatt erlernte.

Wie wir aus einem Brief aus dem Jahr 1755 wissen, hat Ehrlich bei einem Orgelbauer in Würzburg das Orgelbauhandwerk erlernt. Dabei könnte es sich um die Meister Seuffert, Hoffmann oder Will gehandelt haben.

Wie zu dieser Zeit üblich ist anzunehmen, dass Ehrlich als reisender Geselle immer wieder bei verschiedenen Orgelbauern mitgearbeitet hat, um sich in der Kunst des Orgelbaus zu vervollkommnen.

Belegt ist eine längere Phase der Zusammenarbeit mit dem bekannten, in Heilbronn ansässigen Orgelbauer, Johann Friedrich Schmahl, welcher weit über die Grenzen von Heilbronn bekannt war und als ein Meister seines Faches und Ausbilder gerühmt wurde.

Diese Angaben stammen von Praeceptor (Lehrer in einem fürstlichen Haus) Kraußlich aus Forchtenberg, welcher als Orgelrevisor tätig war.

Weiter erfahren wir aus dem Schriftwechsel, dass er sich nach seiner Heilbronner Zeit in Wachbach niedergelassen hat. Anzunehmender Weise übernahm er die Werkstatt seines Vaters.

Als in Neuenstadt am Kocher im Jahr 1737 eine neue Orgel erbaut werden sollte, wurde der damals schon alte Johann Friedrich Schmahl 1686-1737, sowie Johann Adam Ehrlich um eine Offerte gebeten.

Den Kontrakt zu diesem Auftrag erhielt Ehrlich. Dies wissen wir aus einer Inschrift in der Orgel, welche im Jahr 1963 bei der Restaurierung aufgefunden wurde:

1741 ist dies Orgelwerk von mir, Johann Adam Ehrlich, Orgel- und Instrumentenmacher aus Wachbach verfertigt worden.

Wann genau Johann Adam nach Wachbach zurückkehrt ist, kann nicht belegt werden, es dürfte sich aber um das Jahr 1733 zugetragen haben.

Im Jahr 1735 heiratet er seine Frau Maria Margaretha, eine Metzgerstochter aus Wachbach.

In der Familie seiner Frau gab es Familienmitglieder beider Konfessionen, was durchaus nicht unüblich war.

Im Jahr seiner Hochzeit baute er die Orgel in der Schlosskirche des Deutschen-Ordens in Mergentheim.

Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor, wovon sechs das Erwachsenenalter erreichten, drei Mädchen und drei Jungen, wovon die männlichen Nachfahren alle das Orgelbauerhandwerk erlernten.

Es ist belegt, das Johann Adams Bruder Michael mit in der väterlichen Schreinerei gearbeitet hat und etliche Orgelgehäuse von ihm für seinen Bruder Johann Adam gefertigt wurden.

Wie sein Vater, betrieb auch Johann Adam Acker- und Weinbau, besaß etliche Wiesen und Baumstücke mit Obstbäumen.

Tragisch verlief der 1. Oktober 1745 für Johann Adam.

Als er sich in einem seiner Weinberge zur Ernte aufhielt, legte er seine mitgeführte Schrotflinte auf einer Mauer ab, wobei sich ein Schuss aus der Flinte löste. Der Schuss traf ihn ins rechte Bein.

Der herbeigerufene Bader (der damalige Wundarzt, Friseur und Zahnarzt) Augle konnte 16 Schrotlöcher im Bein feststellen.

Er versorgte Johann Adam nur sehr unzulänglich und hielt sich aktenkundig mehr im Wirtshaus, als bei seinem Patienten auf.

Johann Adam´s Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend.

Die Frau von Johann Adam wandte sich an den Herren von Adelsheim, welcher selbst schwer erkrankt darnieder lag. Dieser veranlasste den Bader zur Ausnüchterung einzusperren zu lassen und sich anschließen um den erkrankten Orgelbauer zu kümmern.

Als sich der Gesundheitszustand des Orgelbauers immer weiter verschlechterte wurde ein Arzt aus Weikersheim gerufen, welcher das Bein amputieren musste. Weiterhin blieb der Gesundheitszustand des Orgelbauers lebensbedrohlich.

Erst als im Jahr 1746 der Hofbader des Deutschenordens aus Mergentheim die tägliche Versorgung des Patienten über drei Monate übernahm, besserte sich der Gesundheitszustand zunehmend, so dass Johann Adam, trotz dieser Einschränkung, seine Arbeit sowie Reisen nach fast einem Jahr wieder aufnehmen konnte.

Johann Adam ging davon aus, dass durch die mangelhafte ärztliche Versorgung seine Schaffenskraft eingeschränkt würde und er kein hohes Alter erreichen würde.

Doch es kam anders als befürchtet.

Nach 1745 wurden aus seiner Werkstatt weitere 20 neue Instrumente geschaffen und Ehrlich verstarb 1784 im hohen Alter von fast 81 Jahren.

Aber was zeichnet die Instrumente dieses Meister´s seines Faches aus?

Ehrlich erlernt seinen Beruf in einer Gegend, in welcher sich der Orgelbau in einer sich vereinheitlichenden Art im ehemaligen Habsburgischen Reich mehr und mehr durchsetzte.

Dieses Gebiet umschloss grob das Gebiet von Schlesien bis Lothringen und von Pommern bis nach Italien.

Es entwickelt sich ein fein differenzierter Labialstil, welcher auf einem geschlossenen Principalplenum basiert ist.

Der Principal ist das Grundregister einer jeden Orgel.(Klangbeispiel) Bereits im Zeitalter der Gotik verfügen Orgeln über Principale in unterschiedlichster Tonhöhe, welche zu dieser Zeit immer gemeinsam erklangen.

D.h. es gab keine differenzierte Schaltmöglichkeit einzelne Reihen der Register zu schalten, das sogenannte Blockwerk. Klangbeispiel

Diesen archaischen Klang können wir hier in Bad Wimpfen noch erahnen.

Instrumente, welche sich in diesem Kulturraum entwickeln, weisen gegenüber zahlreichen anderen Typen die Besonderheit der Häufung an Grundstimmen unterschiedlicher Prägung auf.

Dies sind der Principal, obertönig, schnell ansprechend, das kräftigste Register im Manual Klangbeispiel

Die Flöte, hier in Wimpfen ein Groß- bzw. Grobgedackt, fein sprechend, eher dunkel im Ton, füllig

Klangbeispiel

Das Gedeckt, bei Ehrlich mit starkem Oberton, quirlig, als Basis fein singend

Klangbeispiel

Das Quintatön, starker 3. Oberton, greift der Quint 2 2/3‘ vorweg, nasal

Klangbeispiel

Die Gambe, das besonderste Register, langsam sprechend, obertönig, den Anschlag verlangsamend, streckt den Klang in die Länge, trotz gleichmäßigem Anschlag der Taste

Klangbeispiel

Jedes dieser einzelnen Register weist eine klangliche Besonderheit auf und ergibt in der Kombination miteinander ein neues Register, bzw. eine Klangfarbe auf.

Klangbeispiel

Wie in einem Orchester setzt der sogenannte chorische Effekt ein. Der Klang wird farbig, unterschiedlich, unterscheidlich, das Ohr bleibt interessiert am Geschehen.

Im Fall der Bad Wimpfener Orgel lässt sich eine These erhärten mit dem Merkspruch:

Eine Orgel ist ein Grundtonverstärker mit Hilfe von Obertönen

Gemeint ist damit der Effekt mittels Interferenzen (konstruktive Interferenz), damit klingt die Orgel tiefer, mächtiger, breiter, da durch die Obertöne eine akustische Vertiefung erlangt wird.

Diesen Effekt kann man sich beispielsweise bei der Erzeugung von 32‘-Tönen mit einer Frequenz von 16 Hertz zu eigen machen.

Klangbeispiel

So führt bei der Ehrlich-Orgel die Verwendung einer 3 1/5‘ Terz in der Mixtur dazu, dass der Zuhörer ein 16‘-Füßiges Plenum wahrnimmt, obwohl die Orgel im Manualbereich über keinen 16‘ verfügt.

Klangbeispiel

Kann man heute bei der Wimpfener Stadtkirchenorgel von einem Ehrlich-Instrument sprechen?

Die Antwort ist mit einem eindeutigen Ja und Nein zu beantworten.

Durch die zahlreichen Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte und die damit verbundenen Veränderungen, kennen wir den originalen Zustand nicht mehr.

Über das Instrument, einstmals erbaut für eine seitlich angebrachte Empore rechts vor dem Chorraum, können wir über Wirkung und Abstrahlung des Instrumentes nichts genaues aussagen.

Auch die Disposition des Pedals dürfte, wenn auch mit geringen Abweichungen, nicht dem Zustand von 1748 entsprechen.

An den Säulenabschlüssen am ersten Standort lassen sich die Namen der damaligen Organisten ablesen.

Wann die Orgel auf die Westempore kam, kann nicht exakt nachvollzogen werden. Wir wissen nur, das der Heilbronner Orgelbauer Schäfer an dem Instrument im 19.Jhd. Änderungen, vor allem im Pedal durchgeführt hat.

Es ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, das Richard Rensch aus Lauffen am Neckar durch seine Arbeiten an der Orgel in Neuenstadt am Kocher, welche eindeutig Johann Adam Ehrlich zugeschrieben war, Ähnlichkeiten zu dem Wimpfener Instrument erkannte und damit den Grundstein zum heutigen Erscheinungsbild legte. Davor war die Zuschreibung nicht eindeutig.

Durch Recherchen in Archiven konnten Aufzeichnungen gefunden werden, welche die heutige Disposition belegen.

Klanglich beschritt Rensch einen beachtlichen Weg, welcher zu dem heutigen Ergebnis geführt hat.

Er lies die Pfeifen ohne Manipulation frei sprechen. Der Wind kann die Pfeifen frei durchströmen und versetzt das ganze Instrument in Resonanz, voll Farbe, Glanz und Prächtigkeit.

Erst durch wesentlich jüngere Entdeckungen und Restaurierungen sowie die Orgel in der Klosterkirche zu Maihingen im Donauries von Johann Martin Baumeister 1737 oder die Orgel in Ugale/Kurland/Lettland von Cornelius Rhaneus 1701 erkennen wir, dass Richard Rensch uns einen Schatz wiedergegeben hat, welcher von der großen Orgelkultur und deren Entwicklung im ehemaligen Habsburger Reich zeugt und uns heute immer wieder in Fazination hüllt.